Mogadischu und der Bonbonbauch

Diese Geschichte erlebte ich im August 2023.

„Gibt es eigentlich schon Weihnachtssüßigkeiten?“ fragt sie ihre Begleiterin, die neben ihr an der Kasse des Supermarkts steht, und schaut sich um. Unsere Blicke treffen sich, wir schmunzeln beide und ich frage sie, worauf sie denn besonders scharf sei. „Auf nix. Ich will mich nur aufregen.“ Sie lacht herzlich. Ich lache mit.
„Baumstämme!“ flüstert eine tiefe Stimme hinter mir. „Ich kann nicht an den Baumstämmen vorbei gehen. Die mag ich am liebsten.“ Ich drehe mich um und sehe einen sehr großen Mann hinter mir in der Schlange stehen. „Das kann ich gut verstehen.“ sage ich. „Die sind auch super.“ „Wenn ich zu viele davon esse, bekomme ich einen Bonbon-Bauch sagt meine Frau.“ „Das klingt sehr liebevoll.“ „Na ja, ich glaube sie meint eher „dicke Wampe“.“ Wir lachen beide. Ich bezahle meine Waren, verabschiede mich von ihm und gehe meines Wegs, der mich in den nebenan gelegenen Drogeriemarkt führt.
Während ich konzentriert nach der richtigen Lidschattenfarbe suche, sagt eine tiefe Stimme neben mir: „Man sieht sich immer zweimal im Leben.“ Es ist der große, große Mann aus dem Supermarkt. Er geht schon weiter und ich rufe ihm hinterher, dass es auch hier Süßigkeiten gäbe. „Ja, ich weiß. Aber die sind mir nicht süß genug.“ Und etwas leiser fügt er hinzu. „Als ich jung war habe ich viel Schokolade gegessen. In den Einsätzen. Wir haben alle viel Schokolade gegessen.“ Und er erzählt mir, dass er ein Mitglied der „Delta Force“ war. Er zeigt mir die Tätowierung an seinem linken Unterarm: Ein Kartenausschnitt Mogadischus, in dem die Absturzstellen der beiden abgeschossenen „Black Hawks“ markiert sind. Und eine Straße, die komplett in rot gehalten ist. „Das ist der Blutfluss.“ sagt er mit ruhiger Stimme. Und er fügt hinzu: „Es gibt einen Film darüber. Aber die Wirklichkeit war noch viel, viel schlimmer.“ „Wie haben sie das geschafft? Wie ist es, das erlebt zu haben?“ frage ich ihn. „Ich weiß es nicht genau. Ich war danach noch woanders. In Afghanistan zum Beispiel. Ich habe gesehen wie mein Kamerad einen 10jährigen Jungen erschoss. Der stand mit einer Sprengstoffweste vor uns….er hat uns das Leben gerettet…drei Tage später wurde er selbst erschossen.“ Er erzählt mir, dass er psychologische Hilfe in Anspruch nahm und dass es ihm heute gut geht. Die Bilder kommen immer wieder, holen ihn ein. Aber es geht ihm gut. Auf seinem rechten Oberarm hat er eine Tätowierung, die aussieht wie eine Mischung aus Muskeln, Sehnen, Fleisch und Drähten und Metall. Bionisch oder so. Für ihn ein Zeichen des Überlebens. „Ich habe es geschafft. Ich bin da rausgekommen. Ich habe das Unmenschliche überlebt.“ Wir schauen uns einfach an. Lächeln und wünschen uns einen wirklich-wirklich guten Tag. Was weiß ich schon von den Menschen, die mir begegnen?

(Bildquelle www.alamy.de)

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