Anfangen, wenn man eigentlich schon mittendrin ist.
Wenn die Frage „Wie geht es Dir?“ tatsächlich als „Was fühlst du?“ verstanden wird.
Ich habe Elisabeth Mader, Elli, besucht, um mit ihr über das zu plaudern, was sie grad bewegt. Und das ist viel. Und auch nicht immer mit Worten zu beschreiben.
Zum Beispiel die Erkenntnis, dass etwas anders ist. Wir sind uns schon häufig über den Weg gelaufen. Und dieses Mal begegnen wir uns.
Die Besonderheit dieses Gesprächs liegt für mich darin, dass ich eine Person vor mir habe, die sich intensiv damit beschäftigt hat, was DAZWISCHEN ist und dabei entdeckt hat, was DAVOR liegt.
„Ich bin ja doch schön.“ – ein Satz, der ein Erlebnis ist. Diesen Satz oder Varianten davon hat Elli oft gehört, während und nach Bodypaintings, die sie gestaltet hat. Ein Ausruf, der sie zutiefst erfreut. Und sehr nachdenklich gemacht hat.
Was haben die Personen, die sich von ihr bemalen lassen, zuvor erlebt? Welches Bild haben sie sich von sich gemacht? Welche Annahmen haben sie entwickelt? Was hat das für einen Einfluss auf die Gestaltung ihres Lebens? Und woher kommen diese Annahmen?
Obwohl…Annahme ist nicht das richtige Wort.
Oder doch?
Etwas annehmen. Etwas, das mir gegeben wird, annehmen. Etwas, das mir vorgegeben wird, annehmen. Und es festhalten, auch, wenn ich spüre, dass es mir nicht gut tut.
Eine Annahme loslassen – um mich selbst anzunehmen. So wie ich bin.
Und wer bin ich? Und wie finde ich das heraus?
Elli hat sich auf diese Fragen eingelassen. Und so wie ich sie erlebe, vermute ich, dass sie sich auf das DAZWISCHEN eingelassen hat.
Was passiert in diesem Zwischenraum, der entsteht, wenn eine Person sich ihr anvertraut?
Beim Bodypainting kommt man sich sehr nah. Man muss Berührung zulassen. Da ist auch Nacktheit im Raum. Das heißt, die Person zeigt sich – und muss darauf vertrauen, dass Elli ihr Respekt zollt und ihre Würde anerkennt.
Und das tut sie. Elli kann einen safer space kreieren. Und die Person, die sich ihr und ihrem Tun überlässt, kann aufatmen. Vielleicht sogar zum ersten Mal seit langer, langer Zeit.
Wenn Elli diese Situationen schildert, kann ich das Aufatmen in ihrem Körper sehen.
Während ich hier nach den richtigen Worten fahnde, hüpft mir dieses in den Kopf: UNBOXING.
Und ich muss schmunzeln. Ich glaube es passt.
„Mir wurde immer gesagt, dass ich mich spezialisieren müsste. Ich habe das geglaubt und versucht.“
Sie hat angenommen, dass es so sein müsste. Ist der Annahme gefolgt, dass etwas auf eine bestimmte Art zu sein hat. Dass sie auf eine bestimmte Art zu sein hat. Und sie hat es versucht – Annahmen angenommen, sich angepasst und angepasst und angepasst und sich selbst verpasst.
Fast!
Und dann gab es einen Moment, in dem sie wusste, wenn sie das so weiter macht, verliert sie sich vollends. Und sie hat eine Entscheidung getroffen. Klingt banal. Und ist komplex.
Wie komplex das war und ist, könnt Ihr in ihrem Buch „Vom Sehen zum Fühlen“ lesen. Darin spricht sie von ihren Erkenntnissen auf dem Weg und schildert sie mit ihren eigenen Worten.
Das kann ich nicht „besser“ machen.
Mir geht es hier auch eher um etwas anderes. Und das wird mir immer klarer. Ich habe ein ganz egoistisches Motiv. Ich liebe es, wenn Menschen leibhaftig sind.
Und ich liebe es, mit diesen Menschen zu sein.
UNBOXING: auspacken, entfalten, mutig raustreten, den Kopf rausstrecken, sich angreifbar machen, den eigenen Weg finden, Annahmen überprüfen, sie verwerfen, die eigenen Wünsche anerkennen, das eigene Leben gestalten, darin solidarisch und emphatisch sein…
Elli hat entschieden aus den Boxen, den Schubladen auszutreten. Sie hat ein eigenes Bild kreiert: „Ich sitze oben auf der Kommode. Und von da aus kann ich in jede Schublade greifen und mir das rausholen, was ich gerade brauche.“
UNBOXING: Bedeutet auch, dass sie sich selbst berühren lässt. Sie hat sich von den Personen, die sich ihr anvertraut haben, berühren lassen. Und die Verantwortung, die damit einher geht angenommen. Verantwortung in dem Sinne: Welche Antwort gebe ich diesen Menschen? Wie will ich ihnen begegnen?
Ihre Antwort: „Ich will authentisch sein.“
Und das nimmt sie ernst. Sie respektiert ihren eigenen Wunsch danach und tut das, was dafür notwendig ist.
UNBOXING.
Wer bin ich wirklich?
Wie möchte ich sein?
Mit wem möchte ich eigentlich Zeit verbringen?
Was möchte ich erleben?
Das zum Beispiel: Sie war mehrere Wochen mit einem Wohnmobil unterwegs. Und nur ihr Hund hat sie begleitet.
Und sie folgte der Idee, ein Buch zu schreiben. Und jetzt ist es da. Man kann es sehen und fühlen.
Und dann gibt es da auch noch diese Frage: Finde ich mich selbst schön?
Und daraus ergibt sich: Was ist Schönheit?
Und wen oder was finde ich schön?
Und Ellis Antwort ist komplex. Sie spricht über Menschen, die von innen her strahlen. Die mutig sind, aus den Schubladen herauszutreten. Über Menschen, die aufgehört haben, sich zu beschweren und zu jammern. Dabei ginge es nicht darum, Schmerz oder Trauer oder Wut zu unterdrücken, sondern die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Und das könne auch bedeuten, Hilfe und Unterstützung anzunehmen. Man müsse das nicht allein machen. Denn eigentlich ginge das auch gar nicht. Denn letztlich seien wir soziale Wesen.
Elli ist mit ihrem Tun und ihrem Sein für viele Menschen zu einer Begleiterin in diesem Prozess geworden. Als Bodypainterin gab sie so manchen Impuls, um den eigenen Körper anders zu sehen, ihn neu zu entdecken.
Und ich glaube dadurch, dass sie das mit einer respektvollen und wertschätzenden Haltung tut, kann dieses Erlebnis tiefer in den Körper eindringen und über das Erleben des Bodypaintings hinaus eine Wirkung entfalten.
Sie spricht mit ihren Gestaltungen eine Einladung aus, sich selbst anders zu sehen – sich anders wahrzunehmen – zu spüren – zu fühlen – und sich von da aus ein neues Bild von sich selbst zu machen. Das eigene Selbst-Bild bestimmen. Und mit dieser Stimme neue Wege gehen und andere Entscheidungen treffen.
Auch wenn sie selbst sagt, dass sie noch nicht genau weiß, wer sie eigentlich sei, so erlebe ich eine Person, die ihre Stimme gefunden hat. Sie bestimmt selbst über ihr Leben. Geleitet von Werten wie Respekt und Empathie. Und auch eine gehörige Portion Neugier für das Leben und andere Wesen ist ein wesentlicher Teil von ihr.
Ich bin sehr dankbar für diese Begegnung. Für Ellis Offenheit, ihr Vertrauen, ihr Tun, ihr SoSein und ihre Stimme. Und auch dafür, dass sie mir ihre Zeit geschenkt hat.
Ich danke Dir von Herzen, Elli!
Ich ende jetzt hier mit der Schilderung meines Besuchs bei Elli.
Nicht, weil alles gesagt wäre, sondern, weil ich erkannt habe, dass ich gar nicht alles sagen kann.
Lest ihr Buch: „Vom Sehen zum Fühlen“ und ihren Blog.
Lasst sie Euch berühren: BlackCat – BodyArts
Hört ihre Stimme: Lesung auf der Frankfurter Buchmesse
Und nehmt Kontakt zu ihr auf – es ist wirklich-wirklich schön mit ihr: mail@elisabethmader.de
Vielleicht gibt es aber auch kein Ende, weil es keinen Anfang gab.
Foto: André Ambrass (AmbrassArt)