RUCKZUCK REVERSE – Unsere Erlebnisse

FABIANS ERLEBNIS:
Was für einen Spaß das machen kann, einfach mal zwei Stunden für 280m zu brauchen!
Alleine hätte ich mich das nicht getraut. Gut, dass wir zu fünft waren. Mutprobe mit Gruppendruck halt. Da trifft man sich um kurz vor zwölf an einer bestimmten Apotheke in der großen Einkaufsstraße im Zentrum von Mönchengladbach, um von zwei bis vier Uhr in Zeitlupe durch shoppende Menschen zu gehen. Muss man mal gemacht haben. Die ersten Minuten waren bei mir geprägt von der Angst, komisch angeguckt oder angemacht zu werden, das vorauseilende Lächeln in meinem Gesicht musste sein, sicher ist sicher.
Auch mein Outfit sollte mir Sicherheit geben: Seitenscheitel, Mantel, Aktentasche. Dann kam der Gedanke: mein Job ist es in diesem Zeitraum nicht vorrangig, hauptsächlich von allen Menschen gemocht zu werden. Ich will ein bisschen irritieren. Ablenken. Dass die Leute sich irgendeinen eigenen Reim drauf machen. In Reflexion gehen. Und wenn’s nur für einen Augenblick ist. Antworte ich in Zeitlupe, wenn mich jemand fragt, was wir da machen? Oder zählt die schnelle Erklärung: die Leute haben es ja schließlich eilig an ihrem freien Shopping-Tag? Das haben mir mehrere Leute mir gesagt, nicht ich ihnen. Und auch noch mit einem Grinsen im Gesicht. Und dass unsere Aktion irgendwie cool ist: Müsste man auch mal machen, mal nicht immer stressig irgendwas erledigen wollen. Die Saat ist gesät. Einige haben mitgemacht. Bei denen ich das äußerlich ‚Null‘ erwartet habe. Für ein paar oder mehr Meter. Und ihren Spaß gehabt. Ab dem Zeitpunkt, an dem ich mein Betonlächeln abgelegt habe, ging es mir viel besser. Die nächsten zwei Stunden waren die pure Entspannung mit ordentlich positiver Energie. Aber mit Muskelkater am nächsten Tag. Ich hätte nicht gedacht, dass die leere kleine leichte Aktentasche meiner Oma aus den 60ern so auf die Schultermuskeln gehen könnte, trotz regelmäßigem Seitenwechsel, in Zeitlupe.

ANJAS ERLEBNIS:
Ich war aufgeregt. Aber vor allem habe ich mich auf dieses Experiment gefreut. Ich habe mich gefragt welchen Einfluss es auf die mich umgebenden Personen nähme, wenn ich mein Bewegungstempo verändern und mich nur ganz langsam bewegen würde. Ich war froh darüber, dass ich nicht allein war. Unser jeweiliges Langsam-Sein variierte ein bisschen. Dadurch ergaben sich Abstände zwischen uns. Das war ein sehr spannendes Phänomen, denn dadurch ergab sich ein Langsamkeitsfeld. Und das nahmen die Passant*innen wahr und manche gingen darauf ein. Eine Person kam freudestrahlend auf mich zu: „Fünf! Ich habe fünf Leute gefunden! Ihr seid zu fünft!“
Uns wurde ausgewichen, wir wurden beobachtet, photographiert, gefilmt und angesprochen. „Was machen Sie hier?“ „Ist das Kunst?“ „Ah, es geht um Entschleunigung!“
Ich war erfüllt von Freude. Da waren die Personen, die mit mir im Schneckentempo unterwegs waren. Da waren die Personen, die ihre Wege verändert haben, um mich nicht zu stören. Da waren die, die mich ein Stückchen begleitet haben. Da waren die, die stehen geblieben sind. In diesem Feld, das zwischen uns Fünfen entstanden war, war so viel Platz für so viele andere Wege und Tempi und Rhythmen. Es hat vibriert. Und ich habe in viele erstaunte und vor allem lachende Gesichter geschaut. Das war ein schönes Erlebnis. Noch schöner als ich dachte.

ANASTASIAS ERLEBNIS:
Endlich in einem passendem Tempo laufen können, dabei die Welt genauer beobachten können, viel Information kommt auf mich zu, die ganze Welt zieht an mir vorbei während ich auch ein Teil davon bin, aber entscheide mich für jetzt.
Freude an Gesprächen, Freude, Zeit zu haben für diese Gespräche, Freude an der Sonne, an dem Regen, an dem Wind. Ein großes Erlebnis in paar hundert Metern und paar Stunden. Große Freude.

DOROS ERLEBNIS:
-Wahnsinn wie schnell Menschen sind
-Es war schön zu spüren, dass die Aktion zu großen Teilen positiv aufgenommen wurde und sogar aktiv mitgemacht wurde.
-man ist plötzlich viel mehr im hier und jetzt, fast schon meditativ
-wir waren langsam und die Zeit ganz schnell. Die zwei Stunden fühlten sich viel kürzer an
-der Körper fühlt sich ganz anders an, Bewegungen beinahe unnatürlich, weil man sich im Alltag meist eher unbewusst bewegt
-ich möchte das wiederholen
-umso langsamer, umso „schwieriger“ ist ein ganz gewöhnlicher Spaziergang auf einmal

Photo und Videos: Kaspar Flesch

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